Paul Boldt Nacht
für Nacht
1885 - 1921
Wie helle Raupen kriechen die
Chausseen
Aus Wäldern über Berge in die
Tale.
Gestrandet liegen Wolken, groß
wie Wale,
Still in der Abendröte blanken
Seen.
Der Tag versiegt. Bis ihn die
Frühen speisen,
Quillt schwarze Nacht aus allen
Himmelsbronnen.
Die Sterne scheinen, kleine,
ferne Sonnen.
Der Teich im Hofe glänzt wie
dunkles Eisen.
Der Mond steht, wie ein Junge in
der Pfütze,
Hell über jedem Garten. Und wie
Gaze
Schimmert der Wald, des Berges
blaue Mütze.
Aus einer Kleinstadt ragt des
Kirchturms Vase
Verschnörkelt aus der
Giebeldächer Nipp’s.-
Schlaf
hält die Menschen fest, steif, wie in Gips.
Paul Boldt Nächte über Finnland
1885 – 1921
Die Nadelwälder dunkeln fort im
Osten,
Und aus den Seen taucht das
Nachtgespenst
Den gelben Kopf, von Feuerrauch
gekränzt,
Den Sterngeruch der neuen Nacht
zu kosten.
Zu weißen Pilzen filzen
Fichtenpfosten,
Und Ast an Ast in zartem Lichte
glänzt,
- Befrorne Linien - Filigran
umgrenzt,
Zieht die Kontur aus reinen,
reifen Frosten.
Bis auf das alte, runde,
schwarze Eis
Des Grundes sind die Flüsse
zugefroren.
In Schuttmoränen glänzt der
glatte Gneis
Und in den leuchtenden,
polierten Mooren.
Die Krähen schreien ewig: Tag -
und Tat -
Nebel und Kälte fällt wie Sack
und Saat.
Paul Boldt Nächtliche Seefahrt
1885 – 1921
Die Winde sind von einem
Möwen-Dutzend
Geschwämzt und schlagen durch
die Luft, dumpf, pfeifend.
Und hart herrollend, seltsam
vorwärtsgreifend,
Zerbraust das Meer, der Riffe
Rücken putzend.
Es klatscht das Segel, patscht
das Ruderblatt.
Die gleichen Wogen streifen,
weichen vorn
Und fallen hinten, wo der Möwen
Zorn
Sie schmäht, matt, hingemäht,
ins glatte Schwad.
Dann steift der Wind. Er gibt
die Brise doppelt
Und schmeißt die hellen
Wasserhaufen steiler,
Wie ein Pikeur die Meute noch
gekoppelt
Voll Gier losläßt; allein der
starke Keiler
Stockt, steht, stößt einmal in
die Runde
Entblößter
Zahnreihn und zerfetzt die Hunde.
1885 - 1921
Einsamer Pluto trage ich im
Blute
Proserpina, nackend, mit blonden
Haaren.
Unauslöschbar. Ich will mich mit
ihr paaren,
Die ich in allem hellen Weib
vermute.
Ich bin von ihren Armen
lichtgefleckt
Im Rücken! Ihre Knie sind
nervös,
Die Schenkel weiß,
fleischsträhnig, ein Erlös
Des weißen Tages, der die Erde
deckt.
In ihrem Haar bleibt etwas vom
Verwehten
Des warmes Bluts. Ich liebe den
Geruch!
Und nur die Zähne haben zuviel
Fades,
Wie ein Schulmädchen, sooft sie
in den Bruch,
Den Brunnen ihres Frauenmundes
treten,
Der
meine Brünste tränkt - Herden des Hades.
Paul Boldt Sinnlichkeit
1885 – 1921
Unter dem Monde liegt des Parks
Skelett.
Der Wind schweigt weit. Doch
wenn wir Schritte tun,
Beschwatzt der Schnee an deinen
Stöckelschuhn
Der winterlichen Sterne Menuett.
Und wir entkleiden uns, seufzend
vor Lust,
Und leuchten auf; du stehst mit
hübschen Hüften
Und hellen Knien im Schnee, dem
sehr verblüfften,
Wie eine schöne Bäuerin robust.
Wir wittern und die Tiere
imitierend
Fliehn wir in den Alleen mit
frischen Schrein.
Um deine Flanken steigt der
Schnee moussierend.
Mein Blut ist fröhlicher als
Feuerschein!
So rennen wir exzentrisches
Ballett
Zum
Pavillon hin durch die Tür ins Bett.
Paul Boldt Sommergarten
1885 – 1921
Die Vögel sprangen von den
Winden auf den Garten
Und fielen auf die hellen
Rasenbeete,
Betäubt vom Duft der blühenden
Stakete
Am weißen Haus mit vierzehn
Rosenarten.
Die gelben Steige, die den Rasen
masern,
Kommst du in Weiß, berieselt von
den Winden,
Und deine Augen duften noch den
Blinden -
Die warmen Blumen an den
Nervenfasern.
Freude der Tropen wächst. Im
blauen Raum
Zünden die Wolken, leuchtende
Phantome.
Und du, in deines Blutes Aura
und Arome,
Nimmst Sonne mit - in eine
Liebesnacht.
Gleich goldnen Bienen hängt das
Licht im Baum,
Das
deinen Mund wie eine Frucht benagt.
1885 – 1921
Unsere Stadt ist gar nicht
absolut.
In die roten, gefleckten
Wolkenmassen
Sinken die Häuser abends wie
zerlassen.
Voller Detail. Straßen und
Lampenflut.
Behändetes Café voll Köpfen
kocht.
Im Rock aus Schrei steht Litfaßsäule
steif.
Wind fliegt vorbei als dunkler
Pferdeschweif.
Und Hurenlächeln brennt am
Kleiderdocht.
Tagestrottoir beschreiten dunkel
Träger.
Kleider mit alten Flecken roten
Munds.
Antlitz, auf Hirn gefaltet,
friert blutlos.
Ach: nahten reicherblutig Wälder
uns
Der Stadt entschritten! Und
wärmend und bloß
Himmel
der Farbige, der blaue Neger.
1885 – 1921
Birken und Linden legen am Kanal
Unausgeruhtes sanft in seinen
Spiegel.
Ins Nachtgewölbe rutscht der Mond,
ein Igel,
Der Sterne jagt und frißt den
Himmel kahl.
Mädchen sind da, und wir sind
sehr vergnügt.
Ich schmeiße nach dem dicken
Mond mit Steinen;
Die Betty küßt mich, und er soll
nicht scheinen,
Weil Bella schweigt und
naserümpfend rügt.
Die Sommerstädte liegen um den
Park.
Es wird sehr hübsch! Der Süden
wandert ein!
Die Sonne wächst! Wie nackte
Männer stark
Schreiten die Tage, Frühjahr in
den Hüften.
Die schwarzen Linden kommen
überein,
Morgen
zu grünen in den süßen Lüften!
1885 – 1921
Wie Einsamkeit das Ich im Auge
dämmt.
Du ist nicht feil, und Du
beginnt zu fehlen.
Geh durch die Menge, um Lächeln
zu stehlen,
Verbrauche deine Küsse ungehemmt
-:
Ein Schrei wärmt dir den Leib!
Zu sehr allein.
Es gibt nur dies, unser
Blut-Hoch und Ja,
Unsere Kunst, das Labsal anima!
Das Herz bewegt sich in das Wort
herein.
Von den Stummheiten sollen wir
aufbrechen!
Nicht nur anjahren in der
Existenz.
Von Antlitzfrauen aufreizend
umschwiegen
Werden wir jetzt, einmal und
wenigstens,
Die Herzensröte an den Lippen
kriegen.
Unseren Dialekt des Menschen
sprechen.
1885 – 1921
Ein Thema: Weichsel; blutsüßes
Erinnern!
Der Strom bei Kulm verwildert in
dem Bett.
Ein Mädchen, läuft mein Segel
aufs Parkett
Aus Wellen, glänzend,
unabsehbar, zinnern.
In Obertertia. Julitage flammen,
Bis du den Leib in helle Wellen
scharrst.
Die Otter floh; mein weißes
Lachen barst
Zwischen den Weiden, wo die
Strudel schwammen.
Russische Flöße in den Abend
ragend.
Die fremden Weiber, die am Feuer
sitzen,
Bewirten mich: Schnaps und
gestohlener Speck.
Wir ankern und die Alten bleiben
weg.
Die Völlerei. Aus grausamen
Antlitzen
Blitzt
unser Blick, ins Weiberlachen schlagend.
1885 – 1921
Als
trügen Frauen in den Straußenfedern
Das
junge Licht wie eine weiße Fahne,
Gehörten
alle Häuser reichen Reedern
Und
wären Schiffe, schwimmt um die Altane
Die
blaue Luft! Oh, jetzt in einem Kahne
Auf
Wassern fahren, süßen Morgennebeln
Entgegensteuern,
gleich dem leisen Schwane
Die
Wellen teilend mit den schwarzen Hebeln!
Geh
in die Leipzigerstraße! Geh ins Freie!
Schön
ist die Wollust! Gott ein guter Junge.
Die
Dirnen sommern brünstiger als Haie!
Ich
habe Geld! Ich bin so schön im Schwunge.
Sonette
aus Sonne kitzeln mir die Zunge!
In
meiner Kehle sammeln sich die Schreie!
1885 – 1921
Schon
kam die Erde mit den schönen Bäumen
Dem
Winter nah, der alles Grün verschluckt.
Oktober
wird, wo uns das Hirn noch juckt
Von
überroten, klaren Sonnenträumen.
Wir
Planetiden. Dunkelheiten schäumen
Novemberher.
Die Erde friert und duckt
Sich
vor dem Mond, aus dem ein Leuchten zuckt
Und
duftweiß flimmert an den Wolkensäumen.
Der
gelbe Herbst, in seinem Mantel aus Regen,
Kommt
von den Wäldern, ein befleckter Schlächter.
Laub
liegt wie Blut auf sonst besonnten Wegen.
Dann
kann es sein, eines der Rinder schreit
Lange
zum Mond. Der zuckt und leuchtet matter
Durch
laute Bäume in die Dunkelheit.
1885 – 1921
In
diesem Herbst, der nicht mehr wärmt, ist Trauer.
Seit
aller Vogelflug nach Süden schwärmte
Und
Liebe sich um ihr Geliebtes härmte,
Schüttet
die Nacht unnennbare Schauer
Über
den Weg, den ich zu gehen wähnte.
Ach,
Kreuzweg kam! Ach, Kreuzweg! Ungenauer
Sie
mein Gesicht. Ins Auge nebelgrauer
Stach
Bitternis so, bis es tränte, tränte.
Wie
schritt ich eigenmächtig in die Ferne.
Die
Tage brannten magisch an den Händen.
Es
lullte mich. Ich trug die Träume gerne,
Und
als Verdienst erschien ein Abenteuer. - -
Die
Straße hält auf diesem schwarzen Sterne;
Gestrüpp
von Nächten. Schmutz ist im Gelände.